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›Komm, spiel noch mal!‹

›Komm, spiel noch mal!‹

Wege aus der Glücksspielsucht

Ob englische Pferdewetten, blinkende Automaten in Vegas oder Roulette bei James Bond: Glücksspiele umweht ein Image von Glamour und Gefahr. Doch die Realität hinter der schillernden Fassade ist oft düster. Wie schnell wird aus dem harmlosen Zeitvertreib eine Sucht? Welche Verantwortung trägt die Glücksspielindustrie? Und wo finden Betroffene Unterstützung? Wir trafen Jennifer Kress, die als Sozialarbeiterin für die Suchthilfe des Kreises Unna Spielsüchtige in Lünen und Umgebung betreut.

Während öffentlich viel über Suchtmittel wie Alkohol und Marihuana debattiert wird, läuft das Thema Glücksspiel eher unter dem Radar. Betrifft es nur einige wenige – oder können die Betreffenden es einfach besser verbergen?

Tatsächlich merkt man Personen diese Form der Suchterkrankung nicht direkt an: Sie haben keine ›Fahne‹, fallen nicht durch verändertes Benehmen auf. Das sogenannte ›Pokerface‹ haben alle Glücksspieler perfektioniert – nicht nur diejenigen, die pokern. Und sie haben immer eine Ausrede parat, warum sie sich Geld leihen müssen. Selbst Angehörige bekommen häufig nichts mit.

Wie viele Menschen sind hierzulande spielsüchtig?

Laut einer repräsentativen Studie, dem Glücksspielsurvey von 2023, gilt dies
für rund 2,4 % der Bevölkerung. Weitere 6,1 % zeigen ein riskantes Spielverhalten. Klingt erst mal wenig. Aber: 36,5 % der Deutschen haben im besagten Jahr überhaupt an irgendeinem Glücksspiel teilgenommen. Umgerechnet hat also jeder vierte Glücksspielende ein Problem. Das ist wiederum ziemlich viel und beweist: Glücksspiel ist kein harmloses Freizeitvergnügen, sondern birgt hohe Risiken.
Woran liegt es, dass manche in die Sucht abrutschen – und andere nicht?
Wir wissen, dass Personen in sozial benachteiligten Regionen, mit niedriger Bildung oder geringem Einkommen überproportional betroffen sind – Männer übrigens stärker als Frauen. Arbeitslosigkeit ist ein weiterer Risikofaktor. Kinder von Eltern mit Glücksspielproblemen sind besonders gefährdet: Viele gehen gerne ins Casino, sobald sie 18 sind. Wie beim Konsum von Substanzen besteht oftmals der Wunsch nach Ablenkung und positiven Gefühlen.

Und diese positiven Gefühle werden beim Spielen hervorgerufen? Können Sie den psychologischen Mechanismus dahinter erläutern?

Glücksspiel aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn. Ähnlich wie bei Drogen wird Dopamin ausgeschüttet. Betroffene beschreiben es als rauschhafte Erfahrung, mit wenig Einsatz an Geld zu gelangen: Wenn ich 2 Euro investiere und 200 Euro raushole, ist das ein Erfolgserlebnis, das ich schnell wiederholen möchte. Und wie bei einer Drogensucht kommt es auch hier zu einer Toleranzentwicklung: Ich brauche immer mehr, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Bald investiere ich nicht 2, sondern 200 Euro. Das führt bei einigen bis in den Ruin. Und irgendwann schlägt die Motivation um: Dann geht es nur noch darum, die Verluste auszugleichen, wieder auf Null zu kommen.

Lassen Sie uns auch über diejenigen sprechen, die daran verdienen: Wie bewerten Sie die Rolle der Glücksspielindustrie?

In Deutschland wurden im Jahr 2023 insgesamt 14,3 Milliarden Euro durch Glücksspiel eingenommen. Der Staat profitiert von den Steuern, hat also kein Interesse an einer Regulierung. Insbesondere im Bereich der Fußballwetten beobachten wir sogar eine zunehmende Verharmlosung durch Werbung und Sponsoring. Dabei bräuchte es konsequente Beschränkungen und Präventionsmaßnahmen. Denn die Profite basieren zu großen Teilen auf menschlichem und sozialem Leid und verursachen massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Schäden, die in der Rechnung unerwähnt bleiben. Das verstehen schon die Kinder und Jugendlichen in den Schulen, die ich mit der ›Glüxxbox‹ besuche.

Was hat es mit dieser ›Glüxxbox‹ auf sich?

Es handelt sich um einen Methodenrucksack, der von der ›Landesfachstelle Glücksspielsucht‹ herausgebracht wurde und verschiedene Arbeitsmaterialien enthält: etwa Kärtchen mit Fallbeispielen, ein Fragequiz oder Glückskekse. Ich gehe mit dem Koffer in die Klassen, um über das Thema aufzuklären. Viele der jungen Leute belächeln es zuerst. Wenn ich aber Zahlen nenne und erkläre, wie die Industrie tickt – mit welchen psychologischen Tricks gearbeitet wird, um Menschen an ein Spiel zu binden –, ist das Erstaunen groß.

Verraten Sie es uns: Was sind das für Psycho-Tricks?

Die Branche beschäftigt Experten, die genau wissen, worauf das menschliche Gehirn anspringt. Ein gutes Beispiel sind Triggerpunkte wie Licht- und Soundeffekte an den Geräten, die zur Spannungssteigerung dienen. Oder Fast-Gewinne, die wie echte Gewinne eine Dopaminausschüttung bewirken. Wenn jemand doch mal eine hohe Summe gewinnt, ist die Auszahlung nicht sofort möglich – oder es wird nicht der komplette Betrag auf einmal ausgezahlt. Man kann das Geld aber einsetzen. Dies soll den Gewinner verlocken: ›Komm, spiel noch mal!‹

Wie entkommt man dem Teufelskreis?

Viele holen sich leider erst Beistand, wenn sie am Boden liegen. Doch es ist nie zu spät, sich an die Suchthilfe zu wenden. Nach telefonischer Vereinbarung bieten wir vertrauliche Beratungsgespräche für Spielsüchtige und Angehörige an unseren Standorten im ganzen Kreis Unna an – so auch unter dem Dach der Beratungsstelle an der Münsterstraße 1l in Lünen. Zunächst klären wir die Lage. Dann lade ich den Klienten in unsere Motivationsgruppe ein, eine Art Selbsthilfegruppe, die wöchentlich stattfindet und fachlich von mir begleitet wird. Hier kann man sich mit anderen Betroffenen austauschen, was für die meisten erleichternd ist, da sie in ihrem sozialen Umfeld oft auf Unverständnis stoßen. ›Dann hör eben einfach auf!‹, heißt es da häufig. Aber genau das ist nicht so leicht. Spielsüchtige sind zwar nicht körperlich abhängig – sie verspüren auf Entzug jedoch stressbedingte körperliche Symptome wie innere Unruhe, zwanghafte Gedanken, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen. Das heißt, sie haben echten Suchtdruck.

Und in der Gruppe lernen die Menschen, mit dem Druck umzugehen?

Es ist ein erster Schritt. Nach 4 bis 6 Wochen führen wir ein zweites Gespräch: Wo soll der Weg hinführen? Bei Bedarf vermitteln wir an weiterführende Stellen wie eine ambulante Psychotherapie oder Reha-Einrichtungen. Dort setzen sich die Betroffenen intensiv mit ihrer Erkrankung auseinander, arbeiten an ihren persönlichen Auslösern wie belastenden privaten Situationen und vertiefen Bewältigungsstrategien.

Können Sie Beispiele für solche Strategien nennen?

Meine Klienten haben in der Regel viel Lebenszeit in das Glücksspiel gesteckt. Diese Zeit muss anders gefüllt werden, damit keine Langeweile entsteht. Hinzu kommen strukturelle Sicherungsmaßnahmen: etwa eine OASIS-Sperre oder spezielle Apps, die den Zugang zu illegalen Websites verhindern. Ebenfalls sinnvoll ist eine Finanzsicherung, hier als mögliche Methode die Taschengeldvereinbarung, bei der Angehörige den Betroffenen regelmäßig kleine Beträge auszahlen. Manche müssen den Umgang mit Geld komplett neu erlernen. In schweren Fällen vermitteln wir ergänzende Hilfen im Bereich Schuldnerberatung oder Wohnungslosenhilfe. Und natürlich stehen wir auch nach einer abgeschlossenen Therapie für die Nachsorge zur Verfügung.

Quelle: Stadtmagazin Lünen, Artikel von S. 20 in Ausgabe 145 (11/2025)

 

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