Suchtberater zur Legalisierung:„Sinnvoll neue Wege zu gehen“

Suchtberater zur Legalisierung:„Sinnvoll neue Wege zu gehen“

LÜNEN. Cannabis-Konsum wird legal. Wir haben zwei Lüner Suchtberater dazu befragt, welche Gefahren und Potentiale sie in diesem rechtlichen Schritt sehen.

Von Kristina Gerstenmaier

Der Eingang der Beratungsstelle der „Suchthilfe im Kreis Unna“ in Lünen liegt etwas versteckt an einer Seite des Lippezentrums (Münsterstraße). Das ist bewusst so gewählt, um bei dem heiklen Thema Konsum illegaler Drogen eine bestmögliche Anonymität zu gewähren, erzählt Matthias Hundt, Sozialarbeiter für den Bereich Suchtvorbeugung im Kreis Unna. Denn es sind einige, die diese Türe nutzen: Allein 50 bis 60 13- bis 17-Jährige lassen sich hier kontinuierlich zum Thema Cannabis-Konsum beraten. Diese Zahl ist seit Jahren relativ stabil.
„Cannabis ist die meistkonsumierte illegale Droge weltweit und in allen Alters- und Sozialschichten verbreitet“, informiert Suchtberater Olaf Weißenborn. Er hat in seinen Beratungen auch mit Jugendlichen zu tun, die den beruflichen und sozialen Anschluss verpassen haben, die der Konsum antriebs- und teilnahmslos gemacht hat. Ein junger Erwachsener fällt dem Suchtberater beispielsweise ein, der früher gerne Fußball gespielt hat und vielseitig interessiert war, wegen seines Konsums aber alle Hobbys aufgab und bei dem der Sprung ins Berufslebennicht gelingt. Oder auch ein Familienvater, der abends nach Feierabend seit zwei Jahrzehnten einen Joint raucht, um zu entspannen. Der nach einer Verkehrskontrolle aufgefallen ist und den Führerschein verloren hat. Oder jemand, dessen Partnerin mit dem Konsum in der Familie nicht einverstanden ist. Es gibt viele Gründe, die Lüner Drogenberatungsstelle aufzusuchen: Neben Cannabiskonsumenten kommen auch Menschen mit Problemen durch den Konsum von Ecstasy, Heroin, Amphetaminen und anderen illegalen Substanzen. „Viele kommen auch aufgrund der Begleit-probleme, oder aufgrund psychischer Schwierigkeiten, die oft den Hintergrund für einen abhängig gewordenen Drogenkonsum bilden, oder mit diesem einhergehen“, erklärt Weißenborn.

Drogenpolitik gescheitert

Wenn sich demnächst der Status von Cannabis nun also von „illegal“ zu „legal“ ändert, bereitet das beiden Sozialarbeitern der Suchthilfe Sorgen? Während zunächst der 1. Januar 2024 genannt wurde, ruderte die Politik vor wenigen Tagen noch einmal zurück – die Verabschiedung des Haushaltes für 2024 habe Priorität, heißt es – und verschiebt das Startdatum der Legalität auf April. Eine kurze Antwort auf diese Frage gebe es nicht, sind sich die beiden Drogenberater einig. Doch auch wenn davon auszugehen ist, dass die Zahl der Konsumenten zunächst ansteigen könnte, befürworten Weißenborn und Hundt diesen
juristischen Schritt. Unter Berücksichtigung vieler Teilaspekte. Die Rückstellung wegen des Haushalts
halten sie für sinnvoll: Es ist wichtig, dass im Zusammenhang mit der Legalisierung tatsächlich auch die Prävention, Aufklärung, Beratung und Frühintervention gestärkt wird“, sagt Hundt. „Hierfür sollte dann auch tatsächlich woanders eingespartes Geld investiert werden, so wie es die Planungen der Bundesregierung vorsehen.“ „Die Legalisierung von Cannabis ist ein durchaus nachzuvollziehender
Weg, weil die bisherige Drogenpolitik gescheitert ist und es Sinn macht, neue Wege zu gehen“, sagt Präventionsexperte Matthias Hundt. Berater Olaf Weißenborn ergänzt: „Illegalität und Strafverfolgung haben über Jahrzehnte nicht den gewünschten Effekt gebracht.“

Strafe habe nichtfunktioniert

Den Konsum einzudämmen, indem Besitz und Verkauf unter Strafe stehen, habe nicht funktioniert. Mehr
noch: „Es werden in den letzten Jahren vermehrt chemische Stoffe nachgewiesen, die Namen tragen wie Tryptamin, Arylcyclohexylamin oder Benzimidazol „Dabei geht es darum, den Cannabisrausch extremer werden zu lassen, was eine höhere Gefahr der Begleitschäden und auch für die Abhängigkeitswicklung
bedeutet“, erklärt Hundt, „und damit steigt der Profit im illegalen Handel. Die Folgen für Körper und
Seele sind unplanbar. Diese chemischen Substanzen begünstigen Abhängigkeit, Depressionen oder Halluzinationen. Und die Gefahr steigt, je jünger die Konsumenten sind.“ Dadurch, dass das Cannabis
ohnehin konsumiert wird – auch illegal – befürworten die beiden Drogen-Experten den kontrollierten Anbau reiner Substanzen, wie es der Gesetzesentwurf vorsieht. Es gehe zunächst darum, die Begleitrisiken
zu minimieren, denn manche Gefahren und Schädigungen seien maßgeblich auf die Bedingungen und den Handel in der Illegalität zurückzuführen. Cannabis gilt gemeinhin als „weiche Droge“. Was nicht heißt, dass sie harmlos oder ungefährlich ist. „Der Konsum ist nicht für jeden gleich“, so Weißenborn. „Manche Konsumenten sind vorbelastet, habe eine höhere Veranlagung zur Sucht, schwierige Lebensbedingungen
oder sind psychisch vorbelastet. Es ist immer auch ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren und neben
der Droge spielt noch weit mehr die Persönlichkeit des Konsumenten eine wesentliche Rolle. Wie heute bekannt ist, finden gerade in Pubertät und Jugend wichtige (auch neurologische) Prozesse statt, die entscheidend sind für die Entwicklung der Persönlichkeit und nicht nachgeholt werden können. Daher muss für Jugendliche der Konsum tabu sein.“ Gleichwohl sollte beachtet werden: Auf der Rangliste
der gefährlichsten Drogen steht angesichts der gesellschaftlichen Schäden weltweit Nikotin an oberster Stelle, gefolgt von Alkohol. Cannabis tauche auf dieser Liste nicht auf.

Geld zum Schutz Jugendlicher

Unterm Strich sei der Plan, den Konsum für volljährige Konsumenten zu legalisieren, also ein sinnvoller Weg. „Der Umgang mit Cannabis im Vergleich zu dem Umgang mit Alkohol beinhaltet ein hohes Maß an Ungerechtigkeit“, bemerkt Hundt. „Denn Cannabis hat keine größeren Folgewirkungen. Das geht zu Lasten der Glaubwürdigkeit, Aufklärung, Prävention und Beratung. Man kann viel offener damit umgehen, wenn es nicht wegen der Illegalität tabuisiert wird.“ Besonders wichtig ist aus es Sicht der beiden Mitarbeiter der Suchthilfe, dass die Regierung noch vor Inkrafttreten der Legalisierung konkrete Regelungen entwickelt, wie Jugendliche effektiv geschützt werden können. Für Prävention, Beratung und
Frühintervention müsse, wie es die Planungen vorsehen, Geld investiert werden.

Quelle: Ruhrnachrichten/ Lünen 15.12.2023